OY Live im PROGR Bern, 27.3.2013 (photo: Thomas Burkhalter)

Am Anfang war ein Tropfen Kuhmilch

Auf einer Reise durch Afrika hat die in Berlin lebende Schweizghanaerin Joy Frempong Tonextrakte zusammengetragen, die sie auf ihrem zweiten Album «Kokokyinaka» seziert. So verschroben ihre Methoden anmuten, entsteht am Ende doch eine wunderlich funkelnde Form von Popmusik.

Sie stupst Puppen an und entlockt ihnen so Töne. Sie hört im Bremspedal eines Taxis den Bass für ihr nächstes Stück heraus. Kein Wunder, hat Joy Frempongs Plattenlabel Creaked Records ihr einen Freipass gegeben: Sie sollte eine Platte kreieren dürfen, die ihr vollkommen entspricht.

Die ersten sieben Lebensjahre verbrachte die 1978 geborene Joy Frempong in Ghana. Dort, wo sich ihre Eltern, eine Schweizerin und ein Einheimischer, bei Bibelübersetzungen kennen lernten. Dann zog die Familie in die Schweiz. Joy Frempong machte die Matura und schloss die Jazzschule in Bern ab. Nach dem Studium entschied sie sich für einen eigenwilligen Weg, schrie in Mikrofone und streifte den Dadaismus. Sie spielte Konzerte rund um den Globus, aber ein Auftritt als Sängerin der Berner Elektro-Dub-Band Filewile in Südafrika blieb ihr in besonderer Erinnerung. Er veranlasste Joy Frempong zu einer Rückkehr.

Das Potenzial dieses politisch geladenen Landes sei für die Künstlerin enorm gewesen: «Sehr bald war ich integriert in eine Szene, in der Kunst immer auch ein politisches Statement ist. Meine eigene Musik schien in dieser Umgebung an Bedeutung zu gewinnen.» Dann reiste sie weiter, gemeinsam mit einer Freundin und zwei Aufnahmegeräten: nach Mali, Burkina Faso und Ghana, in ihre Heimat. Ob auf Busfahrten erster, zweiter und dritter Klasse oder im Gewusel eines bunten Marktplatzes: Joy Frempong sammelte die Soundextrakte wie andere edle Souvenirs. Wollte sie unbemerkt aufnehmen, drückte sie unauffällig auf die Play-Taste des kleineren Recorders.

Interview im Rahmen des Norient-Projektes Sonic Traces: From Switzerland

Gemeinsam mit dem Produzenten Lleluja-Ha, der die Sängerin am Schlagzeug begleitet, hat sie Ordnung in die Sammlung von Klangschnipseln gebracht. Dazu meint Joy: «Irgendwann bin ich an Grenzen gestossen. Auf der Strasse einen Klang zu finden, der als Bass funktioniert, ist gar nicht so einfach.» Lachend ergänzt sie: «Aber die Waschmaschine meiner Mutter hats auch getan.» Oder, zur Not, ist es dann der Synthesizer. Denn eigentlich hatte sie nicht vor, ihn einzusetzen.

Die schnarchende Tonmeisterin

Es gibt Songs auf diesem Album, die an Zauber gewinnen, wenn Joy Frempong ihr Geheimnis lüftet. «At the beginning there was a huge drop of milk», rezitiert sie etwa in «Doondari» und verarbeitet darin nicht weniger als den Entstehungsmythos der Welt – so wie ihn die Fulbe-Nomaden sehen.

Am Anfang ist also dieser gigantische Tropfen Kuhmilch. Bei Oy ist es zusätzlich ein flackernder Beat. Bald rennt ein Xylofon über eben diesen, über Joys verfremdete Stimme und wuchtige Trommelschläge. An einem Klangfetzen, den man als Refrain auszumachen glaubte, möchte man sich festkrallen. Aber die Tonmeisterin kennt keine Gnade: Sie zerreist die flüchtige Sicherheit mit einem rasanten Kehrreim. Episch leitet der Synthesizer das Ende ein. Ein Baby weint im Takt.

Cover des Albums KOKOKYINAKA (artwork: Irena Germano and Oiler)

Welt aus Geschnipsel und Flickwerk

Die Tonsezierung scheint grenzenlos: In «Millionaire in Beggars Wear» zerhäckselt Joy ein Feuerwerk zu einem Beatgefüge. Aufgenommen hat sie die platzenden Feuerwerkskörper in Mali, an der Eröffnung eines Musikfestivals. (Reinhören: hier). Spätestens bei «No, I Don’t Snore» wird klar, dass es sich hier nicht um eine klassische Musik-CD handelt. Joy umrahmt ihre warme, beruhigende Stimme mit einer exquisiten Tonkulisse und kreiert so ein okkultes Hörspiel. Und: Niemand schnarcht so schön wie Joy Frempong.

«Kokokyinaka» ist nicht nur eine unschuldige Herausforderung Oys an ihre Hörerschaft, sie verarbeitet auch Lebensansichten und traditionelle Mythen einiger afrikanischer Volksgruppen. Es ist nicht einfach, die Eingangstüre zu dieser Welt aus lauter Geschnipsel und Flickwerk zu finden. Aber hat man die Klinke einmal nach unten gedrückt und ist eingetreten, lässt es sich von einer nachhaltigen Faszination zehren.


Joy Frempong im Skype-Interview zu ihrem neuen Album in der Norient-Sendung Sonic Traces auf Radio Bern RaBe vom 18. März [7']

OY Live im PROGR Bern, 27.3.2013 (photo: Thomas Burkhalter)
OY Live im PROGR Bern, 27.3.2013 (photo: Thomas Burkhalter)

Der Text ist zuerst erschienen in Der Bund vom 23. März 2013.

Biography

Milena Krstic, in Bern ansässig, ist freie Journalistin und Musikerin. Solo tritt sie als Milena Patagônia auf, im Duo mit Sara Elena Müller als Cruise Ship Misery.

Published on March 26, 2013

Last updated on October 26, 2020

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